Ab heute im Handel: Was taugt das Fire Phone von Amazon?
BILD hat das erste Smartphone des Online-Kaufhauses ausprobiert
Von: Von MARTIN EISENLAUER
Endlich mal wieder ein Smartphone, in dem tolle Ideen stecken. Das war meine erste Reaktion, als Amazon das Fire Phone präsentierte. Über eine Kamera-App namens Firefly erkennt das Smartphone bis zu 85 Millionen Objekte, kann Informationen dazu liefern oder direkt auf die Bestellseite eines Webshops verlinken. Vier Sensoren auf der Vorderseite des Geräts erkennen die Kopfbewegungen des Besitzers, ermöglichen so ganz neue Steuer- und Darstellungs-Methoden und zu guter Letzt gibt es Service ganz persönlich über eine Videokonferenz, die man per App einfach mit einem Fingertipp starten kann.
Nach einigen Tagen mit dem Fire Phone ist meine Begeisterung praktisch tot. Warum? Lassen Sie mich das Stück für Stück erklären:
Ein Klotz von einem Handy
Bei der Hardware klotzt Amazon. Leider ist damit nicht die Technik, sondern das Design gemeint. Trotz eigentlich ganz moderater Maße (139x67x9mm, 160g) fehlt dem Fire Phone jede Form von Eleganz. Es liegt wie ein Backstein in der Hand – stabil und solide, aber auch vollkommen ohne jeglichen Anflug von Sex-Appeal.
Auch die viel beschworenen inneren Werte heben das Fire Phone nicht aus der Masse der Smartphones hervor: Das 4,7-Zoll-Display (11,9 cm) zeigt 720x1280 Pixel, der Vierkern-Prozessor rechnet mit 2,2 Gigahertz und als Speicher stehen 32 oder 64 Gigabyte zur Verfügung.
Amazon nutzt für das LTE-Handy Googles Android als Betriebssystem. Es wurde allerdings so stark verändert, dass man es nicht mehr erkennen kann. Ein Karussell auf dem Home-Bildschirm zeigt die zuletzt genutzten Apps und Dokumente, die Liste aller Programme ist unten am Displayrand versteckt. So ist das Gerät einfach zu bedienen, nervt nur, wenn man technische Einstellungen im gefühlt hundertsten Untermenü suchen muss.
Eine Frage der Perspektive
Wirft man einen Blick auf das Fire Phone fallen sofort die vier „Löcher“ auf, die in allen Ecken neben dem Display sind. Dahinter verbergen sich so genannte „Dynamic Perspective“-Sensoren. Sie erkennen, wie der Besitzer ins Display schaut und simulieren in einigen Apps über diese Daten eine Art 3D-Ansicht. So verändern sich Objekte, wenn man den Kopf bewegt, man hat den Eindruck, man könne hinter sie sehen.
In den ersten paar Stunden ist der Effekt eindrucksvoll. Immer wieder erwischt man sich dabei, hinter Apps schauen zu wollen oder das Handy zu kippen, um zu sehen, wie sich dadurch die Ansicht verändert. Ist der erste Wow-Effekt verblasst, fragt man sich immer wieder „Was soll das?“ und findet darauf im Fire Phone keine überzeugende Anwendung. Ja, der Effekt ist nett. Aber er ist es nicht wert, dass man ständig in die endlosen Abgründe der vier Sensor-Augen blicken möchte.
Fireflyen statt googlen
Die nächste Idee scheint wesentlich praktischer: Die Kamera-App Firefly verspricht, alles zu erkennen, was mit der 13-Megapixel-Kamera fotografiert wurde. In den USA war von 85 Millionen Objekten die Rede, die deutsche Webseite verspricht immerhin 50 Millionen Dinge. Das hört sich nach viel an – in der Praxis scheint es auf unserer Welt aber viel mehr als nur 50 Millionen Objekte zu geben. Viel zu oft muss Firefly passen, erkennt nicht, was es gerade vor der Linse hat. Oder, noch schlimmer: Es werden falsche Produkte erkannt.
Auch die Erkennung von Texten, etwa von Notizzetteln, funktioniert gerade gut genug, um zu frustrieren. Denn für jeden erkannten Bereich gibt es drei, vier, die praktisch unbrauchbar sind.
Wesentlich besser funktioniert die Erkennung von Musik-Titeln. Hier kann das Fire Phone locker mit Apps wie Shazam oder Soundhound bei der Identifizierung von Songs mithalten.
Doch Amazon geht noch einen Schritt weiter: Per Sound-Erkennung liefert Firefly in einer Funktion namens X-Ray Informationen zu Filmen und TV-Serien. Wenn es klappt, ist das tatsächlich sehr eindrucksvoll. Gerade bei deutschen Filmen und Serien hat das Angebot aber noch deutliche Defizite.
So nutzt man Firefly einige Mal, ist dabei manchmal echt beeindruckt, aber meistens enttäuscht. Und nach ein paar Tagen gibt man die Hoffnung auf, Firefly könne tatsächlich eine Erleichterung für das eigene Leben werden.
Immerhin: Die Hilfe hilft
Doch es gibt nicht nur Schwächen. Das absolute Highlight des Fire Phones ist Mayday, der eingebaute Hilfe-Dienst. Mit nur einem Fingertipp wird eine Videokonferenz mit einem Service-Mitarbeiter von Amazon aufgebaut. Der kann Probleme entweder mit Tipps lösen oder das Handy fernsteuern und dem Anwender so zeigen, wo die gesuchten Einstellungen versteckt sind. Mayday steht täglich von 6 bis 24 Uhr kostenlos zur Verfügung, braucht nur eine gute Datenverbindung, um wirklich tolle erste und auch zweite Hilfe zu leisten.
Nur bei der Telekom
Bleibt die Frage: Was kostet das Fire Phone? Darauf gibt es leider keine ordentliche Antwort. Derzeit gibt es das Smartphone nur bei der Telekom zusammen mit einem 24-Monats-Tarif. Im Tarif MagentaMobil (monatlich 49,95 Euro) gibt es das Fire Phone mit 32 Gigabyte um 1 Euro. Will man monatlich nur 39,95 Euro bezahlen, kostet das Fire Phone 59,95 Euro.
Fazit: Idee top, Praxis flop
Das Fire Phone hat in der Theorie alle Zutaten für eine echten Handy-Hit. In der Praxis sind die gelieferten Funktionen einfach nicht nützlich genug, dass man sich dafür das hässliche Smarpthone in die Hosentasche stecken, geschweige denn vor sich auf einen Tisch legen würde. So erklärt sich wahrscheinlich auch, warum das Fire Phone in den USA gefloppt ist.
Schade eigentlich, denn genügend gute Ideen hatten die Entwickler ja.
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